Kritiken

Blue Room

1920 provozierte Schnitzlers Reigen einen Theaterskandal. Der britische Dramatiker David Hare, der das Liebeskarussell vor zwei Jahren zum Blue Room modernisierte, durfte sich bei der Londoner Uraufführung immerhin auf Nicole Kidman als Hingucker verlassen. Jetzt hatte das Zwei-Personen-Stück im Studio des Schauspielhauses Premiere. Die Bühne wogt in Mondlicht-und-Schatten-Spielen, als wär’s ein romantischer Abend, aber der Taxifahrer und die kleine Nutte haben keinen Sinn dafür.

Eilig stolpern sie über das praktische Schlafsofa, das in der Eingangsszene eine Parkbank darstellt, um sich dahinter nicht minder eilig dem zu widmen, was Hares Regieanweisungen hinter wechselnden und auf der Bühne in den Blackouts eingeblendeten Zeitangaben verstecken: Den Koitus.

Die erste von zehn Lektionen in erotischer Tristesse. Das Sofa ist darin praktisches Ding auf vier Rollen, das auch im Folgenden seinen Dienst tut – als Ehebett, Studentencouch, Kultstätte oder Verführungsmöbel – und in seiner unauffällig wandelbaren Präsenz immer auch die Beliebigkeit der Begegnungen, oder soll man sagen: Kollisionen, offenbart. Die Schauspieler haben es nicht ganz so leicht: Katrin Kröncke und Tobias Altemüller müssen unter dem Regie-Duo Nadine Jessen und Jens Böke richtig schuften, um die Variationen in Peinlichkeit, zu denen Hare die Illusion der Liebe ironisch entzaubert, zu bebildern.

Erstens, weil jeder nicht nur fünf Rollen, sondern diese auch noch in jeweils zwei Gesichtern zu bewältigen hat. Und zweitens, weil die Regisseure zu beiden Seiten des Podestes auf Garderobenständern allerlei Verkleidungsbedarf bereithalten, der in zwei Stunden und zehn Minuten konsequent durchgearbeitet wird.

Der smarte Kurzhaarschnitt mit Jungmänner-Appeal für den Politiker, Warhol-Blond für den Dramatiker; die Politiker-Gattin kommt im rosa Barbie-Outfit, das Au-pair wie in einer Doris-Day-Schnulze. Und an dem mit ansprechenden Songs von Elvis bis Blur unterlegten Umkleide-Marathon zwischen den Szenen ist vor allem eines erkennbar: Dass sich die Regisseure fast vollständig auf die äußerlich-oberflächliche Charakterisierung ihrer Figuren verlassen. Ein Umstand, der weder dem Tempo der Inszenierung noch der Spannung derselben förderlich ist.

Katrin Kröncke wechselt über die unterschiedlichen Stadien des nöligen Ennui von der Naiven zur Zicke zur Diva und hat dabei ihre ironischen Momente. Tobias Altemüller zieht sich auf die Maske kühler Zurückhaltung zurück und lässt darunter hin und wieder den egozentrischen Macho aufscheinen.

Man könnte den Kontrast zwischen Kostümfest und schauspielerischer Reduktion für Prinzip halten, wenn es in Blue Room nicht eigentlich darum ginge, das Immergleiche am „merkwürdigen Verhalten geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit“ in seinen unterschiedlichen Ausprägungen von Machtspielchen über Ego-Show und Anmache bis zum Gelegenheitsfick zu entdecken. Seltsam uneinheitlich wirkt im Studio das Misslingen der Erotik, mal von der Klischee-Komik eines aufdringlich französischen Akzents erschlagen, dann ganz unironisch zur Beinahe-Liebesszene aufgebaut.

Am schönsten noch der garstige Moment, als der Politiker seiner Ehefrau die Mär von den zwei Sorten Frauen auftischt, eine fürs Bett und eine für die wahre Liebe. Da ahnt man unter Altemüllers sanfter Zuwendung das Monster. Sehenswert auch das originelle Ritual, das der Dramatiker und die Schauspielerin anstelle des von Hare vorgesehenen Dialogs zelebrieren, sinnlich in die Hälften einer Wassermelone grapschend, ein Vorspiel mampfend komischer Wolllust.